Von Wegen und Regen
Bangkok ist vor allem aufgrund von zwei Faktoren keine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten: Dem überlasteten Verkehr bei gleichzeitig unzureichendem öffentlichen Nahverkehr, und den schier unerschöpflichen Regengüssen mit darauf folgenden Überschwemmungen während der Regenzeit.
Zum Frühstück und frühen Abendessen platzen Bangkoks Straßen aus allen Nähten. Wer zu diesen Zeiten einen Termin hat und auf ein bereiftes Gefährt angewiesen ist, macht sich lieber frühzeitig auf den Weg. Bei kürzeren Strecken bis 2 km kann sich an Verkehrsknotenpunkten sogar ein Spaziergang als schneller erweisen. Da ich meinen Alltag noch nicht ideal an diesen Umstand angepasst habe, habe ich schon so einige Kilometer mit Supermarkteinkäufen zurücklegen müssen. Für den Arbeitslosen mag dies manchesmal eine willkommene sportliche Betätigung sein; für den Werktätigen in Anzug oder Pumps jedoch keinesfalls. Und so erklärt sich auch die enorme Popularität des auf einer Trasse erhöhten “Sky Train“, welcher die wichtigsten zentralen Orte miteinander verbindet. Würde man die Immobilienpreise farblich auf einem Stadtplan kennzeichnen, so sähe man eine direkte Verbindung zwischen Skytrain-Nähe und Mietpreis. Verlässliche Erreichbarkeit kostet, und zwar nicht nur im Immobilienmarkt. Auch der Sky Train selbst ist nicht günstig: Eine Fahrt kostet meistens zwischen 20 und 40 Baht und ist damit in etwa mit einer Taxifahrt zu zweit vergleichbar. Ergänzend muss ich jedoch hinzufügen, dass es sicherlich Zeitkarten oder sonstige Vergünstigungsmöglichkeiten gibt, die ich nur noch nicht kenne.
Die große Welt der Verkehrsmittel
Zusätzlich zu den zwei Sky Train Linien gibt es noch eine größtenteils unterirdische Metrolinie und eine Vielzahl von Bussen. Alle gelten als öffentliche Verkehrsmittel, werden jedoch getrennt betrieben, sodass es keine gemeinsame Bezahlmöglichkeit gibt. Letztere Option ist meinem ersten Eindruck nach ein günstiges, aber auch schmutziges Verkehrsmittel, das man ähnlich wie in Indien so schnell wie finanziell möglich nicht mehr verwendet. Bisher habe ich selbst noch keinen ausprobiert – auch, weil sich mir die Fahrtrouten nicht erschließen (es steht nichts an den Haltestellen, wenn man diese überhaupt erkennt).
Zu den privat betriebenen, aber mindestens so wichtigen Transportmitteln gehören die knallbunten Taxen (es gibt mehrere Colour Codes, nicht nur gelb), die Autorikshas bzw. Tuk-Tuks, Boote und Motorrad-Taxis. Taxen sind anders als man denken könnte meist günstiger als ein Tuk-Tuk, da der Preis durch ein meter geregelt ist und nicht verhandelt werden muss. (Ausnahmen gibt es auch hier – einige Taxifahrer versuchen bei viel Verkehr oder naiv aussehenden Touristen einen Festpreis auszumachen, aber es herrschen keine arabischen Verhältnisse). Boote gelten als touristischer und praktischer Geheimtip als Shortcuts durch die City. Die Motorrad-Taxis sind eine interessante Besonderheit Bangkoks und ebenso wie der SkyTrain und die Metro eine Antwort auf den überlasteten Verkehr. Selbst ungeschützt, lässt sich der Fahrgast von seinem behelmten und mit Warnweste ausgestatteten Fahrer zwischen den stehenden Autos hindurch manövrieren. Man findet sie an jeder Ecke und sie kosten etwa die Hälfte eines Taxis. Für jene weniger privelegierten außerhalb der dunkelroten Immobilienzone stellt eine Mischung aus Motorrad-Taxi und öffentlichem Verkehr eine typische Kombination des Alltags dar.
Eine Exkurs-abschließende Bemerkung am Rande: Der Verkehr in Bangkok ist zwar fußgängerunfreundlich, aber Verkehrszeichen werden zumindest grob eingehalten und – besonders bemerkenswert gerade im Vergleich zu Indien – die Hupe wird wie in Deutschland wirklich nur als Warnsignal verwendet, nicht als Blinkerersatz. Dadurch ist der Verkehr zwar lebendig, aber nicht überfordernd.
Insgesamt bleibt bei jeder Unternehmung immer die Frage nach der Hin- und Rückreise latent, wenn auch nicht wirklich problematisch, im Hinterkopf. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt für Fußgänger nur mäßig, und für Fahrradfahrer in keiner Weise ausgestattet ist. Wie ich es auch aus Indien und Kairo kenne, sind Bordsteine gerne zu eng, nicht vorhanden, oder enden plötzlich an einer mehrspurigen Straße. Gehbehinderte Menschen könnten sich auf allen mir bisher bekannten Straßen nur sehr begrenzt fortbewegen. Straßen bieten oft keine Überquerungsmöglichkeit, was durch zahlreiche – natürlich nicht behindertengerechte – Fußgängerbrücken kompensiert wurde. Alles führt also wieder zurück zum angetriebenen Gefährt.
Nicht menschengemacht ist der schüttende Regen im August bis Oktober, welcher den Geh- und Fahrverkehr in manchen Wochen – wie dieser – täglich einschränkt. Dann drängen sich beschirmte oder in Plastik gewandte Passanten aneinander und durch die Straßenstände hindurch, waten durch Pfützen und Teiche oder stehen geduldig unter Vorsprüngen (sehr geduldig – dann so ein Regenfall dauert eher eine Stunde als eine Minute). Der Bedarf an Taxis nimmt zu und – zack – ist ein Komplettstau herbeigezaubert. Wenn es am Abend regnet, dann bewegt sich an den Verkehrsknotenpunkten gar nichts mehr
Die Geschichte vom zweifachen Deja-Vù
Wie viele Millionen anderer Bangkoker hatte ich gestern Abend das Bedürfnis, aus der City zurück nach Hause zu fahren. Ich hatte mich zum Kaffeetrinken mit einer Bekannten in der Paragon Mall am Siam Square verabredet; dieser ist eigentlich nur einen Häuserblock weiter, durch dessen Größe und Undurchquerbarkeit de facto aber einige Fahrtminuten entfernt – bei fließendem Verkehr. Ich erinnere an meinen letzten Beitrag, in dem ich eine Abkürzung durch diesen Block gesucht, auf Abwege geraten und von einer alten Frau auf rätselhafte Art und Weise gerettet worden war.
Es regnete in Strömen, die weder mein Regenschirm noch meine neu erworbenen Ledersandalen ertragen hätten. Und so fasste ich den folgenschweren Entschluss, ein Taxi zu nehmen. Das war um etwa halb acht, in 1,6 km Entfernung meines Hotels. Mein Optimismus nahm mit jeder Minute ab: Zunächst verbrachten wir einige Minuten in dem internen Straßensystem der Mall (auch andere Besucher waren auf die Idee gekommen, ein Taxi zu nehmen); dann schlug der Taxifahrer den zwar kürzeren, aber auch meistbefahrenen Weg ein; um dann nach einer halben Stunde auf der Höhe von Big C stehend – es regnete immer noch apokalyptisch – festzustellen, dass es so nicht weitergehe; dann nahm er einen Shortcut über den Parkplatz von Big C in die nächste Straße (Soi Chit Lom), die jedoch noch weiter weg von meinem Hotel führte; seine nächste Strategie war, die westliche Umfahrung des Häuserblocks zu probieren; dieser Versuch führte ihn nach insgesamt ca. 30 Minuten wieder vor die Mall, bei der ich eingestiegen war. Ich bemühte mich vergeblich, ihm Vorwürfe für seine schlechten Fahrentscheidungen zu machen, woraufhin er immer wieder nur “traffic, traffic” stammelte. Ich gab selbstmitleidig auf, zahlte ihm den nicht verdienten Fahrpreis, setzte meinen feinbesohlten Schuh auf die nasse Straße, spannte meinen thailändischen Regenschirm auf und setzte mich zu Fuß in Bewegung. Ich holte mir Mut in der Erinnerung an die alte Frau und machte mich an meinen Plan, die Abkürzung nach Haus ein für alle Mal zu finden. Aber zunächst aß ich einen Cheeseburger bei McDonalds, um mich für die Reise zu stärken.
Der Weg war weniger malerisch, als ich mir ihn im Anschluss an meine Erfahrung in der Hüttenstadt vorgestellt hatte. Es handelte sich schlichtweg um den privaten Zugang des an die Mall angrenzenden Kempinski-Hotels zur Petchburi Road, meiner Straße. Abenteuerlicher waren meine Versuche, das Ertränken meiner Ledersandalen in den 10 cm-Pfützen zu vermeiden. Diese führten mich zu Balanceakten auf Bordsteinen im Dunkeln (der Zugang war nicht beleuchtet), zu Hüpfakten von einer trockenen Insel zur nächsten, bishin zum – Achtung, Highlight! – Abnehmen meiner Schuhe und barfüßigen Durchwaten einer 10 Meter langen und bis zu 20 cm tiefen Pfütze in der Mitte der Straße (ohne Bürgersteig – siehe oben). Ich erreichte schließlich meine Straße und labte mich beim Anziehen meiner Schuhe noch einige Momente genüsslich an meinem Wagemut. Nach einem unnötigen und einem auflösenden Deja-Vù traf ich um 21:15 Rama zu Hause, der sich über die Schlammspuren an meinen Beinen wunderte.
Auch der thailändische Homo Sapiens verfügt über ein enormes Anpassungspotential – und so hat er nicht nur Sky Trains und Bike Taxis gegen den Verkehr entwickelt, sondern auch allerlei Behelfe für den Umgang mit derlei Regen. In diesem Punkt ist er seinem gerade angereisten europäischen Bruder klar überlegen. Dazu gehören beispielsweise ein großes verfügbares Repertoire an Plastikschuhen und Plastikhandtaschen (ganze Marken und Straßenstände sind hierauf spezialisiert), das Bereithalten handlicher Regencapes, die für das Klima geeignet sind (dünn wie die Plastiktüten vom Türken), und das standardmäßige Abdecken von Straßenständen und Unterständen für die Bike Taxis.
In der Hoffnung auf mein eigenes Assimilationspotential sehe ich meiner nächsten Erfahrung mit Wegen im Regen voller Optimismus entgegen.
Ich habe ja ganz gute Erfahrungen mit FlipFlops gemacht (auch wenn sie relativ scheußlich sind…) – die ersparen einem wenigstens das komplette Schuh-Ausziehen; jedenfalls solange sie einem in den Sturzbächen nicht wegschwimmen..
Aber alleine die Tatsache, dass du die Schuhe ausgezogen hast spricht doch für ein großes Assimilationspotential 🙂