Im Hotelzimmer
Heute ist Tag 5. Ich kann es mir nicht erklären, aber seit Sonntag hält mich immer irgend etwas davon ab, das Hotelzimmer zu verlassen. Rama habe ich es bisher verschwiegen, ich schäme mich ein bisschen.
Am Sonntag war es noch ganz gewöhnlich. Rama war müde von der Woche und den Aktivitäten, zu denen ich ihn am Samstag gedrängt hatte. Ich war ganz in meiner Geschäftsidee versunken und tippte manisch an meinem Computer. Draußen regnete es immer wieder. Und wir hatten genug kleine Snacks, um Ausflüge zum Seven Eleven – eine Minisupermarkt/Späti-Kette, die sich an jeder Ecke finden lässt – zu vermeiden.
Am Montag bin ich erst spät aufgestanden, weil ich am letzten Abend wieder einmal zu lange am Computer gesessen habe. Normalerweise verlasse ich das Zimmer spätestens um viertel vor drei, um das Housekeeping (welches bis 4 arbeitet) ungestört seinen Job machen zu lassen. Um drei – ich hatte noch keine Anstalten gemacht, mich ausgehbereit zu machen – klingelte das Telefon und eine süßliche Stimme fragte mich “may I clean your room today?”. Ich zögerte, wusste aber nicht recht warum. Denn ich hatte eigentlich das Bedürfnis nach Bewegung. Anstatt dessen sagte ich: “No thanks”. Bis zur Rückkehr Ramas verbrachte ich den Tag auf dem Sofa und sinnierte über verschiedene Dinge. Am Abend begleitete ich Rama auch nicht mit ins Fitnesscenter; ich erklärte das damit, dass ich keine saubere Sportkleidung habe.
Nachdem ich Dienstagnachmittag wieder kein Housekeeping zugelassen habe, ging ich dazu über, mir lediglich frische Handtücher zu bestellen und das Bett so perfekt wie möglich herzurichten (ich habe mal ein Schülerpraktikum in einem Hotel gemacht). Die schmutzige Wäsche wurde schon am Dienstag zum Problem. Ich gebe sie normaler Weise in eine Wäscherei um die Ecke, und hatte sie auch am Dienstag wie immer in den Seven Eleven Plastiktüten bereitgestellt. Aber ich konnte einfach nicht die Türschwelle übertreten. Der Sog nach innen war unüberwindbar. Es ist nicht so, als hätte ich nicht versucht. Ich stand am Dienstag gebürstet, geschminkt, mit key card und Portemonnaie ausgestattet im Türrahmen, vier Plastiktüten tragend – aber der Schritt nach draußen gelang mir nicht. Als eine Hotelangestellte vorbei kam – ihren fragenden Gesichtsausdruck konnte sie kaum verbergen – setzte ich einen grübelnden Gesichtsausdruck auf und tat so, als überlege ich, was ich vergessen hatte. Nach einigen Minuten ging ich wieder rein. Ich wusch das auf der Hand, was bis zum Abend trocknen würde, und die Hemden gab ich zum dry cleaning im Hotel. Ein teures Unterfangen, denn danach blieben mir umgerechnet nur noch 9 Euro.
Am Mittwoch war eine Änderung meines Zustandes nicht abzusehen, und so professionalisiert sich seitdem meine Einsamkeit. Gestern habe ich das Housekeeping reingelassen, denn Rama machte gestern schon eine Bemerkung zur Gründlichkeit des Personals. Ich verbrachte die Zeit auf dem Balkon und beobachtete das Geschehen 26 Stockwerke unter mir. Nach 4 Tagen Einsamkeit hatten die Menschenmengen unten schon etwas surreales. Die Damen brauchten etwas länger als erwartet, und so vertrieb ich mir die Zeit damit, die Aufmerksamkeit einiger Passanten auf mich zu lenken. Ich rief “hello, hello” und formte dabei einen Trichter um meinen Mund. “Excuse me?” fragte eine der Damen – ich glaube, es war dieselbe vom Vortag – “ah, nothing nothing”. Kurze Stille. “Hello, hello, heeeeeello!” Wahrscheinlich habe ich geschrien. Aber auf den Bürgersteigen war keine Änderung zu vermerken, und meine Nachbarn kamen auch nicht auf ihre Balkone. Überhaupt sahen ihre Zimmer von außen ziemlich unbelebt aus. Nur die cleaning ladies tuschelten etwas und verließen darauf hin recht zügig den Raum. Sie haben ihren Besen hier vergessen, wie nachlässig.
Heute morgen wurde beim Einnehmen meines Frühstücks ein Zettel unter meiner Tür hergeschoben. Ich vermutete, dass es die monatliche Rechnung war, aber es war ein abgerissener Zettel aus einem Notizblock. Auf dem stand “I know how you feel”. Ich musste an den gealterten Nordafrikaner auf meinem Flur denken, der mich in der letzten Woche mit den Worten “so…you live here alone?” angesprochen hatte. Nach einer Anmache klang das aber nicht, es war sehr befremdlich. Vielleicht war es die cleaning lady, die sich auch einmal einsam gefühlt hatte. Es macht keinen Sinn. Ich habe den Zettel weggeschmissen, Rama soll ihn nicht finden. Langsam fällt ihm auf, dass was nicht stimmt. Denn gestern wollte ich wieder nicht mit ins Fitnesscenter und er fragte mich, warum seine Hemden die durchsichtige Folie vom dry cleaning haben, obwohl sie nur normal gewaschen und gebügelt wurden. “Special service” murmelte ich daraufhin. Aus essen wollte ich auch nicht und begründete das mit meinem Drang nach trauter Zweisamkeit.
Eben habe ich noch einmal einen Versuch unternommen, das Zimmer zu verlassen. Es ging wieder nicht, aber dafür kann ich nichts, denn die Tür ging nicht auf. Ich habe alle Schlösser aufgemacht und gerüttelt, aber nichts tat sich. Sicherlich könnte mir jemand helfen, das Telefon steht neben mir. Aber ich denke, ich warte einfach, bis Rama heute nach Hause kommt. Ich habe mir Essen bestellt und werde es mit meinen letzten Baht bezahlen. Derweil mache ich die gymnastischen Übungen weiter, die ich gestern mit dem Besen entwickelt habe.
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