Stewardessen am Rande des Nervenzusammenbruchs


Live, irgendwo über dem indischen Ozean: 180 indische Passagiere treiben die thailändische Besatzung in den Wahnsinn. Wer bisher Italiener, Franzosen oder Amerikaner für die anstrengendsten Reisenden gehalten hat, der ist noch nicht mit Indern gereist.

Es fing beim Boarding an: Schon vor der Ansage formte sich eine ungeduldige Ansammlung, die nicht genug Disziplin hatte, Schlange zu sein. Die Ansage kam, und aus der dreispaltigen Reihe wurde eine runde Traube. Hinter mir stand – wie fast immer – eine Person, die mich wiederholt von hinten anstieß. An dieser Stelle sei versichert, dass die Sitzplätze wie bei fast allen anderen Airlines bereits vergeben waren.

An Bord war das vorranginge Ziel dann nicht etwa, sich zügig und geordnet hinzusetzen, sondern sich erst einmal häuslich einzurichten. Während ich mit deutscher Effizienz ein paar Sekunden zum Hinsetzen und Anschnallen samt Unterbringen meiner Tasche brauchte (ich hatte natürlich schon alles entsprechend vorbereitet), zog sich dieser Prozess bei den meisten Mitreisenden über etwa 10 Minuten.

Überall wird laut geredet und gerufen, irgendwie scheinen sich alle zu kennen. Die Reisenden sind zum Großteil männliche Gruppen, sicher nur ein Zufall bei einem Flug nach Bangkok. Irgendwo schreit ein Kind, zwei weitere scheinen sich mit den losen Gurt-Enden zu duellieren. Es dauert eine Weile, bis die Stewardessen alle Passagiere überzeugt haben, ihre Sitze aufrecht zu stellen und sich anzuschnallen. Andauernd werden sie dabei durch alle möglichen Fragen aufgehalten.

Sobald die Anschnallzeichen ausgehen – das Flugzeug ist noch in der Schräglage – springt alle paar Reihen jemand auf und tut irgendetwas. Aber all dieser Tumult ist nur die Vorbereitung des eigentlichen Dramas: Die Essensverteilung.

AirAsia ist die Budget-Airline Asiens. Man muss spezielle (wie zum Beispiel indische) Mahlzeiten im Voraus bestellen, zusätzlich gibt es ein begrenztes Menü mit vegetarischen und nicht-vegetarischen Mahlzeiten und Snacks zur Bezahlung an Bord. Wenn jemand etwas vorbestellt hat, dann wird diese Information sowohl in einer Liste der Bordbesatzung als auf der Bordkarte angegeben.

Die zweite Reihe vor mir, die bereits durch das Nichtverstellen eines Sitzes, das langwierige Rumräumen von Reisetaschen und flugzeugweite Rufe aufgefallen ist, macht einen Aufstand bei der Stewardess: Wo denn die Mahlzeit bleibe. Die Stewardess schaut mehr aus Höflichkeit nochmals auf ihrer Liste nach. „I think you have not ordered anything. You need to do it in advance, you know.“ Unverständliche Antwort, ich sehe nur gestikulierende Hände. Zwischendurch drängt sich von rechts ein dicker Mann zwischen Sitz und Wagen vorbei.„OK sir, let me check once again. Please give me your boarding pass….see, here it shows that you have not ordered anything.“ Es drängt sich ein alter Mann von links am Wagen vorbei. „Would you like one of our other vegetarian snacks?“ Erst wird sie weggeschickt, nach ein paar Sekunden wird sie aber von dem Herren zurück gerufen und die Diskussion geht noch etwa 5 Minuten weiter. Am Ende bestellt er wohl Cup Noodles. Als sie endlich entlassen wird, ist ihr Lächeln mehr ein Zucken und sie zischt irgendetwas auf Thai zu ihrer Kollegin.

Diese war in der Zwischenzeit zur Hilfe gekommen, um die nächsten Passagiere zu bedienen. Auch die Kollegin wird nicht verschont. Die Frau links vor mir behauptet standhaft, ein vegetarisches Reisgericht bestellt zu haben. „I am afraid you are not on my vegetarian list, you have booked a chicken dish“.  Ich höre nur einen aufgebrachten Tonfall der vermutlich strengen Vegetarierin und sehe ihren Kopf wackeln, verstehe aber nichts. Die Stewardess bittet auch hier um die Bordkarte und erhält diese sehr widerwillig. In der Zwischenzeit haben sich drei weitere Personen am Wagen vorbeigequetscht. Die Bordkarte bestätigt die Darstellung der Stewardess. Die simple Darstellung der wahrscheinlichen Wahrheit – Computersysteme machen weniger Fehler als Menschen – wird jedoch nicht akzeptiert. Hier prallen zwei Mentalitäten aufeinander: Die eine kennt funktionierende Systeme, die andere hat gelernt, dass man sich nur auf den direkten Kontakt verlassen kann, und alles verhandelbar ist.

Die Frau gibt nicht auf, ich weiß leider nicht was sie sagt. Nun kommt der einzige männliche Kollege zur Hilfe, der ebenfalls mit einer Engelsgeduld auf die Frau einredet. Irgendwann gehen ihm offenbar die Erklärungen aus, denn er greift zu einem Blatt Papier, schreibt „10 Veg“  und erklärt: „See, 10 people have booked vegetarian food.“ Dann schreibt er darunter: „10 Chicken“ und fährt fort: „And 10 people have booked chicken food.“ Er malt einen Pfeil von oben nach unten und erklärt: „If I take one vegetarian dish and give it to you, one passanger will not get the food which they had booked. You understand?“ Diese logische Erklärung scheint wieder nicht zu fruchten, und so platzt der Stewardess der Kragen auf thailändische Art: „Do you want to buy another snack now or not? No, OK. Let’s go.“ Beim Weggehen bebt ihre Unterlippe, vielleicht murmelt sie etwas vor sich hin.

Da die Frau vor mir wie viele ihrer Landsmänner partout keinen Geschmack am nichtindischen Angebot finden konnte und nun Hunger leidet, wird die indische Versorgungsmaschinerie angestellt. Von vorne wird ein bisschen übrig gebliebener Reis nach hinten gereicht, und der Mann mit den Cup Noodles steht auf und holt eine Packung indische Süßigkeiten nach der anderen aus dem overhead compartment. Ich sehe drei verschiedene rote und goldene Packungen, die rumgereicht werden. Dann folgt eine Packung Haldirams, ein frittierter salziger Masala-Snack. Irgendwie muss man die nächsten 3,5 Stunden ja überstehen. Der Mann entwickelt sich zu einer Art dezentralen Versorgungsstelle, an ihm ist kein Vorbeikommen mehr.

Jetzt gibt es Turbulenzen und es wird dazu aufgerufen, for your own safety seated zu bleiben. Clevere Idee. Nach der dritten Verwarnung sitzen dann auch alle.

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