Warum wir große Männer (und Frauen) brauchen
Der Leser möge sich zur Aufwärmung ein paar Fragen stellen:
- Eine Firma verliert ihre Geschäftsleitung und einen Fließbandarbeiter. Welcher Verlust hat einen größeren Effekt auf die Firma? Kann der Geschäftsführer den Fließbandarbeiter ersetzen? Kann der Fließbandarbeiter den Geschäftsführer ersetzen? Warum oder warum nicht?
- An einer Universität fallen von heute auf morgen alle Professoren aus, die Studenten sollen sich von nun an gegenseitig unterrichten. Wird es die Qualität der Lehre beeinflussen?
- Ein Familienvater mit nicht berufstätiger Frau wird arbeitslos. In derselben Familie verliert der Sohn seinen Minijob. Welcher Verlust beeinträchtigt den Lebensstandard der Familie mehr?
Die Fragen erscheinen banal, die Antworten logisch: Unter einem Verlust der Leistungs- und Wissensträger leidet in diesen Beispielen die gesamte Gemeinschaft, während dies für die ökonomisch oder geistig schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft nicht gilt. Außerdem scheint klar: Leistungsträger stehen an der Spitze, naturgemäß gibt es daher von ihnen nur wenige, was sie schwer ersetzbar macht.
Die dahinter stehende Logik ist jedoch oftmals nicht internalisiert, und so versagt manch einer in der Abstraktion und verharrt in einer inkonsistenten Doppelmoral – anders lässt sich nicht erklären, warum eine Person einerseits die richtigen Antworten auf obige Fragen gibt und andererseits immer noch in marxistischer Tradition vom noblen Wert körperlicher Arbeit und intellektuell-ökonomischer Gleichmacherei phantasiert.
Jede Leistung entsteht im Kopf
Kein einziges menschliches Manufakt ist je ohne eine zugrundeliegende Idee umgesetzt worden – kein Werkzeug, keine Maschine, kein Haus, hat sich je ohne einen zugrundeliegenden Plan selbst erschaffen. Echte Leistung entsteht immer im Kopf, und je heller der Kopf, desto besser die Arbeit. In diesem Zusammenhang ist unqualifizierte bzw. körperliche Arbeit immer nur Umsetzung des Konzepts. Körperliche Arbeit allein hat keinen intrinsischen Wert. Das kann jeder nachvollziehen, der einmal einen inkompetenten Handwerker bei sich zu Hause hatte.
Je konzeptueller die Leistung, desto weitreichender und daher wichtiger ihr Effekt. Das liegt an der Multiplizierbarkeit von Ideen und Wissen. Je abstrakter eine Erkenntnis, desto allgemeiner ist sie anwendbar – sieht man einmal von wertlosen Theorien ohne Realitätsbezug ab.
Wissen ist multiplizierbar und kann daher einer theoretisch unbegrenzten Menge an Menschen zugute kommen. Als klassisches Positivbeispiel sei die Entdeckung allgemeingültiger Naturgesetze durch Newton genannt, die der gesamten Welt einen souveräneren Umgang mit Natur und Aberglaube ermöglicht haben. Weniger historisch und jedem aus dem Alltag bekannt: Wikipedia, die ultimative Wissenssammlung von Wissensträgern, von der weltweit Millionen profitieren.
Am anderen Ende des Spektrums gilt umgekehrt: Körperliche Arbeit hat weder das Potential, noch das Wesen der konzeptuellen Arbeit. Sie hat keinen Multiplikatoreneffekt und erfordert keine intellektuellen Kenntnisse. Jeder Mensch hat einen Körper, zur Verrichtung einfacher körperlicher Arbeiten ist daher grundsätzlich jeder in der Lage, von möglichen Behinderungen abgesehen. Das liegt auch daran, dass körperliche Kompetenz einerseits eine geringere Bandbreite als der Intellekt hat, daher uniformer verteilt ist, als auch leichter zu erlangen ist. Wer hier aufschreit und sagt: „Was für ein Quatsch, es gibt massenweise hochspezialisierte Handwerker – die Anna würde doch nicht mal einen Nagel gerade in die Wand kriegen“, der verwechselt handwerkliche Kompetenz mit körperlicher Arbeit. Was einen kompetenten Handwerker von einem inkompetenten Handwerker unterscheidet, ist nicht seine Muskelmasse, sondern sein Wissen und seine Erfahrung – intellektuelle Leistungen.
Bottom Line: Konzeptuelle Leistungen sind nicht nur wichtiger als reine Ausführungsleistungen, sondern auch deren grundlegende Bedingung. Politisches Ziel sollte also die Vermehrung und Förderung von Leistungsträgern sein, und selbstverständlich eine entsprechende Kompensation.
Praktische Implikationen
Was sich anhört wie ein alter Hut, wird in Deutschland jedoch nur zum Teil praktiziert. Denn man hat zwar die Rolle der Bildung begriffen, jedoch nicht das Prinzip der Leistungsträgerschaft. So wird viel Geld in den Förderunterricht und die Integration von Leistungsschwachen gesteckt – in Maßen eine sinnvolles Unterfangen – die Notwendigkeit einer geistigen Elite wird jedoch stiefmütterlich und mit gerümpfter Nase betrieben. Handarbeit hängt immer noch die absurde Aura des Unschuldigen, Ehrlichen an. Unternehmen werden durch tausende Regulierungen Steine in den Weg gelegt, während von Jobschaffung so gesprochen wird, als passiere sie in den Ministerien.
Es ist kein Zufall, dass immer mehr deutsche Wissenschaftler in entwicklungsfreudigere Länder wie die USA auswandern, und sich keine internationalen Fachkräfte für einen Umzug nach Deutschland begeistern wollen.*
Langfristig entwickelt sich so eine solide Basis mit wenig geistiger Führerschaft und Innovation. Nun ist – zum Glück – nicht nur der Staat an der Gestaltung der Bildung beteiligt, sondern auch individuelle Motivation und fördernde Unternehmen. Da die Lenkung des Bildungssektors jedoch nun einmal selbsterklärte und mit Steuergeldern bezahlte Aufgabe des Staates ist, sollte er dieser Verantwortung auch nachkommen.
Ebenso ist nur zum Teil begriffen, dass mit gesteigerter Bildung die Möglichkeit zur konzeptuellen Arbeit einhergehen muss. Hier reicht der Ersatz von körperlicher durch maschinelle Arbeit nicht – es muss auch im Bereich konzeptueller Inhalte wie Zukunftstechnologien weitergedacht werden. Ist Deutschland wirklich noch ein Land der Innovationen? Gefüllte Universitätsbänke allein sind kein Garant für die Weiterentwicklung eines Landes. Auf die Sinnhaftigkeit der Fächer, Exzellenz der Lehre und anschließende Berufswege kommt es an.
Praktischer Weise haben wir die Weltgemeinschaft, in der man immer wieder wunderbare Beispiele für den Erfolg und Misserfolg von politischen Ideen finden kann. Beispiel Kerala, ein sozialistisch regierter Staat im Süden Indiens: Gerne wird sich damit gebrüstet, dass Kerala dank fürsorglichem Staat den höchsten Bildungsstand Indiens hat. Kompetenzen in der Entwicklung von Wirtschaft und Bildungseliten hatte die Regierung jedoch nicht. Und so herrschen noch vorindustrielle Zustände, und jeder Taxifahrer hat studiert. Nach der Arbeit stellt er sich in eine der langen Schlangen vor den – ebenfalls staatlichen – Alkoholshops an. (Kerala hat nicht nur den höchsten Bildungsstandard, sondern auch den höchsten Alkoholkonsum). Während Gewerkschaften und Regulierungen die heimische Wirtschaft lähmen, verlassen jedes Jahr tausende Absolventen das Land und schicken Jahr für Jahr ihr Erspartes nach Hause. So finanziert sich Kerala – aus den Erfolgen kapitalistischer Staaten. Dies aber nur am Rande.
Auf gesellschaftlicher Ebene ist das vielleicht prägnanteste Beispiel für eine Aberkennung der Wichtigkeit von Leistung der mangelnde Respekt vor ökonomischen und geistigen Eliten. Anstatt zu begreifen, dass ein ganzes Land von den Ideen, Konzepten, Erfindungen, Entscheidungen und Steuergeldern dieser Menschen profitiert, und dass dies umgekehrt keineswegs der Fall ist, wird am laufenden Band versucht, den Erfolg des Wohlhabenden oder Führenden als unlauter und ungerecht darzustellen. So wird einem CEO nicht selten weniger Anerkennung gezollt als einem einfachen Angestellten, der Mechaniker gilt als rechtschaffener als der Büroheini, und Bänker sind sowieso alle Diebe (aber nur die erfolgreichen). Das liegt auch an dem Wunschdenken, dass alle Menschen die gleichen Fähigkeiten haben – wenn jemand etwas nicht erreicht hat, dann liegt es an seinen Umständen, nicht an ihm. Dabei spricht nicht nur die Gaußverteilung von Intelligenz und die Diversität von Schulnoten für das Gegenteil, sondern die bloßen Tatsachen, dass der Fließbandarbeiter sich nicht für den Job des Geschäftsführers beworben hat, die Studenten sich freiwillig ausbilden lassen, und der Familiensohn auch dann den Job seines Vaters nicht annehmen würde, wenn man ihn ihm anböte. Der Blick in das eigene Leben reicht, um die Existenz von Ungleichheit und das Wirken des Leistungsprinzips zu beobachten.
Ungerechtigkeit wird mit ökonomischer Ungleichheit gleichgesetzt, und so wird zusätzlich zur ohnehin gleichverteilerischen Progressivsteuer von Reichensteuer fabuliert, anstatt sich darauf zu konzentrieren, anderen Gesellschaftsschichten den Aufstieg zu ermöglichen. Man will einfach nicht vom Gedanken ablassen, dass das Bruttoinlandsprodukt eine Art Haushaltskasse ist, auf deren gerechte Verteilung die Bevölkerung Anspruch hat.
Weil man entsprechend dieser Logik davon ausgeht, dass einem die oberen Zehntausend etwas weggenommen haben, herrscht moralisch eine verkehrte Welt: Respekt und Anerkennung wird demjenigen gezollt, der unten geblieben ist; wer es nach oben geschafft hat, dem hängt der Verdacht des Unmoralischen an. Um dies zu zementieren, hängt man den Eliten die Verantwortung für das Versagen der Unterschicht an. Wenn sich partout keine Unterschicht finden lässt, dann wird sie konstruiert – so etwa durch die Armutsdefinition der EU*.
Die Praxis zeigt, dass eine Firma nicht ohne Geschäftsführer, eine Uni nicht ohne Professoren, und eine Familie nicht ohne Einkommen auskommt. Fallen die großen Männer weg, leidet eine ganze Pyramide kleiner Männer unter ihnen. Es sind recht simple Wahrheiten, die auch auf der größeren Spielwiese Deutschland konsequent umgesetzt werden müssen – mit immer mehr Umverteilung funktioniert dies nicht.
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