Mündiges Wählen: Fingerübung 2


These: “Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum soll ausgebaut werden.”

Kurzanleitung:

– Bezieht sich die Stellungnahme inhaltlich auf erwiesene Fakten?
– Leitet die Stellungnahme aus diesen sinnvolle Schlussfolgerungen ab?
– Wird die Position begründet, oder mehr behauptet?
– Ist der Fokus auf Argumentation oder Implementierung?

(Anm.: Reihenfolge der Parteien ist zufällig und entspricht nicht der Reihenfolge des letzten Posts).

Partei 1: Ja
Um Gewalt und Diebstähle abzuwehren sowie Anschläge und andere Straftaten erfolgreich aufzuklären, wollen wir den Einsatz von Videokameras an Kriminalitätsbrenn- und Gefahrenpunkten verstärken. Vor allem Bahnhöfe und öffentlicher Personenverkehr sollen besonders geschützt werden.

  • Prämisse(n): Ein Ziel von Politik ist die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit der Bürger.
  • These(n): Videoüberwachung hilft bei der Abwehr und Aufklärung von Straftaten
  • Argumentation: keine
  • Forderung: Ausweitung von Videoüberwachung an Kriminalitätsbrenn- und Gefahrenpunkten, und insbesondere in Bahnhöfen und öffentlichen Personenverkehr.
  • Leere oder Propaganda-Worte: „erfolgreich”
  • Kritik: Der Zusammenhang zwischen Videoüberwachung und Kriminalitätsbekämpfung wird nicht begründet, da er als intuitiv nachvollziehbar angenommen wird.

Partei 2: Nein
„Videoüberwachung bringt kein echtes Mehr an Sicherheit: Kriminalität verlagert sich allerhöchstens in nicht überwachte Bereiche. Stattdessen sorgt Überwachung für den bereits auch vom Bundesverfassungsgericht bei anderen Überwachungsmaßnahmen beschriebenen “Chilling-Effekt”, d.h. die Menschen vermeiden bereits abweichendes Verhalten, um sich nicht verdächtig zu machen. Dieser Effekt ist gefährlich für Freiheit und Pluralität in unserer Gesellschaft.”

  • Prämisse(n): Die Privatsphäre ist wichtiger als ein mögliches Mehr an Sicherheit
  • These(n): 1. Videoüberwachung verhindert keine Straftaten, sondern verschiebt sie höchstens in unbeobachtete Bereiche. 2. Videoüberwachung zwingt Bürger zu unauffälligem Verhalten aufgrund des “Chilling-Effekts”, was die Freiheit und Pluralität der Gesellschaft gefährdet
  • Argumentation: These 1: nein. These 2: Autoritätenargument (Verweis auf Bundesverfassungsgericht)
  • Forderung: Videoüberwachung soll nicht ausgeweitet werden (ob sie reduziert werden soll, ist unklar).
  • Leere oder Propaganda-Worte: „allerhöchstens”
  • Kritik: Die Stellungnahme wird ausführlich begründet, teilweise jedoch nur mit weiteren Thesen. Die Verlagerung von Kriminalität sowie die Existenz des Chilling-Effekts werden nicht ausreichend oder mit Umweg über ein Autoritätenargument bewiesen.

Partei 3: Nein
Die in Deutschland praktizierte Videoüberwachung öffentlicher Räume zur Abwehr von Straftaten ist ausreichend. Die erheblich weiter gehende landesweite Installation von Überwachungskameras hat z.B. in Großbritannien keinen Rückgang der Kriminalität bewirkt. Daher (lehnen wir) eine Ausweitung der Videoüberwachung ab.

  • Prämisse(n): Ein Ziel von Politik ist die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit der Bürger. Videoüberwachung dient dem Rückgang von Kriminalität. Der Effekt von Videoüberwachung in Großbritannien ist mit der in Deutschland vergleichbar.
  • These(n): Das jetzige Maß an Videoüberwachung ist ausreichend
  • Argumentation: In Großbritannien hat eine Ausweitung der Videoüberwachung keinen Rückgang der Kriminalität bewirkt.
  • Forderung: Keine Ausweitung der Videoüberwachung.
  • Leere oder Propaganda-Worte: keine
  • Kritik: Klare, auf Fakten bezogene Argumentation, die jedoch unvollständig ist, da sie die Rolle der Videoüberwachung zur Aufklärung von Straftaten nicht berücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung des Hinweises “zur Abwehr von Straftaten”  im letzten Satz unklar.

Partei 4: Nein
„Die immer weiter ausufernde Videoüberwachung des öffentlichen Raums wollen wir zurückdrängen. Sie muss zeitlich beschränkt sein (etwa während gefährdeter Veranstaltungen) und auf Orte begrenzt sein, an denen eine erhöhte Anzahl von Straftaten begangen wird und auch zukünftig zu erwarten sind. BürgerInnen müssen in öffentlichen Registern einsehen können, wo Videoüberwachung stattfindet. Die Datenschutzaufsicht bei der Kontrolle staatlicher wie privater Videoüberwachung muss ausgeweitet werden.”

  • Prämisse(n): Der Schutz der Privatsphäre ist ein sehr hohes Gut.
  • These(n): Keine
  • Argumentation: Keine
  • Forderung: Videoüberwachung soll reduziert werden, zeitlich und örtlich beschränkt und die Aufnahmestellen für Bürger einsehbar gemacht werden. Die Datenschutzaufsicht bei der Kontrolle von Videoüberwachung soll ausgeweitet werden.
  • Leere oder Propaganda-Worte: “ausufernde”, “zurückdrängen”, “muss…”
  • Kritik: Sehr viele Forderungen mit administrativem Ausbau, aber keinerlei Argumentation. Was genau sind die Probleme von zeitlich unbegrenzter, nicht einsehbarer und nicht zielgerichterer Videoüberwachung? Welche Rolle soll die Datenschutzbehörde  spielen?

Partei 5: Nein
„Die Erfassung alltäglichen Verhaltens unbescholtener Bürger stellt jeden Menschen unter Generalverdacht und ist mit der Menschenwürde unvereinbar. Wo ständige Überwachung stattfindet, kann es keine freie Entfaltung geben

  • Prämisse(n): Der Schutz der Privatsphäre ist ein sehr hohes Gut.
  • These(n): Die Videoüberwachung von Bürgern stellt diese unter Generalverdacht. Dies ist mit der Menschenwürde nicht vereinbar und verhindert die freie Entfaltung.
  • Argumentation: Keine
  • Forderung: Keine Ausweitung der Videoüberwachung (ob sie abgeschafft werden soll, bleibt unklar)
  • Leere oder Propaganda-Worte: “unbescholten”, “Generalverdacht”
  • Kritik: Thesen mit Pathos, aber keinerlei Begründung – warum entsteht durch die Überwachung ein Generalverdacht? Warum ist dies mit Menschenwürde unvereinbar? Warum hindert Videoüberwachung die freie Entfaltung?

Partei 6: keine Antwort
„Der Einsatz von Videoüberwachung im öffentlichen Raum muss im Einzelfall abgewogen werden.”

  • Prämisse(n): Unklar
  • These(n): Über Videoüberwachung kann nie allgemein, sondern nur im Einzelfall entschieden werden.
  • Argumentation: Keine
  • Forderung: Keine
  • Leere oder Propaganda-Worte: Keine
  • Kritik: Es wird keine Begründung für diese Haltung gegeben. “Einzelfall” im wörtlichen Sinne ist unglaubwürdig, nach welchen Parametern richtet sich also die Entscheidung?

Partei 7: Nein
„Videokameras machen Plätze nicht sicherer, sie täuschen Sicherheit vor. Öffentliche Sicherheit basiert vielmehr auf Rechtssicherheit, sozialer Sicherheit sowie gleichen politischen und sozialen Rechten für alle Menschen. In Städten und Kommunen fordern wir Bürgergremien, die die Förderung der öffentlichen Sicherheit, zum Beispiel durch Beleuchtung öffentlicher Plätze, Freizeiteinrichtungen, Nachbarschaftshilfen und kulturelle Angebote diskutieren, vorschlagen und umsetzen können.”

  • Prämisse(n): Der Ursprung von Verbrechen liegt im unterschiedlichen sozialen Status von Bürgern und einem Mangel an Freizeitgestaltung. Für beides ist der Staat zuständig. Bürgergremien sind besser für die Gewährleistung von Sicherheit geeignet als staatliche Einrichtungen.
  • These(n): 1. Videoüberwachung trägt nicht zur Sicherheit bei. 2. Rechtssicherheit, soziale Sicherheit sowie gleiche politische und soziale Rechte tragen zur Sicherheit bei, sowie Beleuchtung, Freizeiteinrichtungen, Nachbarschaftshilfen und kulturelle Angebote.
  • Argumentation: Keine
  • Forderung: Keine Ausweitung der Videoüberwachung (unklar, ob sie reduziert werden soll). Einrichtung von Bürgergremien in Städten und Kommunen, die die Förderung der öffentlichen Sicherheit diskutieren, vorschlagen und umsetzen können.
  • Leere oder Propaganda-Worte: “täuschen..vor”, “soziale Sicherheit”, “soziale Rechte”, “für alle Menschen”
  • Kritik: Völliges Versagen rationaler Argumentation: Warum trägt Videoüberwachung nicht zur Sicherheit bei? Was ist mit Rechtssicherheit, und vor allem mit sozialer Sicherheit gemeint und inwiefern tragen sie dazu bei, dass weniger Verbrechen geschehen? Was ist die besondere Qualifikation von Bürgergremien? Warum und in welcher Form tragen Freizeiteinrichtungen, Nachbarschaftshilfen und kulturelle Angebote zu einer Reduktion von Verbrechen bei? Sehr viele Prämissen, Thesen und Forderungen, aber keine Argumentation.

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