Wer ist der “kleine Mann”?
Neulich in einer Diskussion tauchte er wieder auf, der “kleine Mann von der Straße”. Mir wurde keine genauere Erklärung angeboten, um wen es sich bei diesem Herren eigentlich handelt, sondern angenommen, ich würde den Linksjargon schon verstehen. Gehört habe ich ihn oft, gewiss – der “kleine Mann” ist ein allseits bekannter Charakter in den linken Milieus, mit denen ich aufgewachsen bin. Man könnte ihn die Zielgruppe linker Gesinnung nennen. Aber verstanden habe ich ihn nie. Wer ist der “kleine Mann”? So viel weiß ich: Seine Arbeit verdient dem kleinen Mann zwar nicht viel Geld, aber dafür ist sie “ehrlich” (?). Der kleine Mann ist zwar allgegenwärtig, kann sich aber nicht gut selbst vertreten im Kampf gegen die “Ausbeutung” (?), die überall auf ihn lauert – daher braucht er den Schutz linker Politik.
Nach diesen groben Anhaltspunkten verliert sich die Spur jedoch im Dunkeln. Worauf bezieht sich das “klein” genau? Auf sein Gehalt oder auf seinen Minderheitenstatus? Was ist “ehrliche Arbeit”, und wo wird er genau “ausgebeutet”? Noch interessanter finde ich die Korrelation zwischen einer lauten Verteidigung des kleinen Mannes und der eigenen Volksferne. Der kleine Mann scheint gerade dort ein Lieblingswort zu sein, wo man eigentlich nichts mit ihm zu tun haben möchte – dort, wo “Stammtisch” als Beleidigung gilt und das Volk für das Lesen der Bildzeitung verhöhnt wird, man nur unter seines akademischen Gleichen bleibt, und der Kontakt zu Migranten auf den Gemüsehändler beschränkt ist.
Warum, und wie, soll der kleine Mann geschützt werden, wenn ihn doch keiner kennt? Und wovor? Es scheint beinahe, als sei nicht so sehr der Schützling selbst von Bedeutung, sondern der Schutz an sich – und damit sein Protegé auf dem hohen Ross. Der selbstlose Retter der unbekannten Spezies “kleiner Mann” möge mich aber gerne eines Besseren belehren!
Leave a Reply