Bye Bye Bangkok
Wie ihr wisst suche ich meine Aufenthaltsorte nach dem Anfangsbuchstaben aus, und so kann ich wie schon im Falle von Berlin praktischer Weise wieder zu diesem prägnanten Titel greifen. Ich beginne diese Zeilen noch knapp auf thailändischem Boden, an Bord einer Royal Jordanian von Bangkok nach Hong Kong, wo ich einen Zwischenstop auf meinem Rückzug nach Deutschland einlege. Als Visa Run Veteranin ist mir das Reisegefühl inzwischen so vertraut wie eine Bahnfahrt (mein Pass ist nach zweieinhalb Jahren komplett voll); anders als sonst werde ich dieses Mal jedoch nicht nach Bangkok zurückkehren, und diese Finalität bringt schon einen gewisse existenzialistische Stimmung mit sich, die mit einer Mischung aus Melancholie, Fatalismus und einer Prise vager Vorfreude auf einen Neuanfang beschrieben werden könnte.
Aber momentane Stimmung hin oder her – langfristig werde ich Bangkok vermutlich nicht sehr vermissen. Nicht dass Bangkok nichts Vermissenswertes zu bieten hätte: Sicherlich werden mir die ständigen – da bezahlbaren – Massagen fehlen, mein Fitnesscenter mit riesen Yogaangebot um die Ecke, und mein Skyline-Blick von der Wohnung, vielleicht auch der See gegenüber, um den wir immer joggen gegangen sind. OK, und das günstige street food war auch charmant, wenn auch nicht so gut wie immer beschrieben. Wenn ich die dritte kalte Woche mit wenigen Stunden Sonnenlicht in Deutschland hinter mir habe, werde ich vermutlich auch anfangen, an den Dauersommer in Thailand zurückzudenken. Und insgesamt möchte ich auch nicht den allgemeinen Wohlstand meines goldenen Expat Käfigs von der Hand weisen, samt Pool und Putzfrau.
Das alles konnte jedoch nicht die inhaltsleere Hülsenhaftigkeit der Stadt und die persönliche Erfolglosigkeit kompensieren, die ich in Bangkok erlebt habe.
Der schöne Schein
Der anfangs empfundene Charme des stets freundlichen thailändischen Gemüts, des puppenhaften Aussehens der Frauen, des langsamen Gehtempos, der sorgfältigen Verpackungen, und der Vorliebe für Snacks versauerte in meiner Wahrnehmung nach einer Weile zu einer faden Oberflächlichkeit, an die ich weder anknüpfen wollte noch konnte. Irgendjemand hatte mir zu Beginn meiner Zeit in Bangkok einmal gesagt dass Bangkok „keine Seele“ habe, und obwohl ich diesen Ausdruck auch jetzt noch für etwas zu dramatisch halte, muss ich ihm zumindest auf Grundlage meiner ganz persönlichen Erfahrung etwas beipflichten.
Bangkok hat all das, was man von einem erholsamen, kurzfristigen Aufenthalt erwartet – Sonne, freundliche Menschen, leckeres Essen, Sex (wenn man ein Mann ist) – aber schon nach kurzem reichen diese sinnlichen Genüsse nicht mehr aus, um höhere Ansprüche zu erfüllen.
Man geht durch die Straße und sieht langsam laufende Menschen mit Tütchen und kleinen Snacks in den Händen, süß und sexy zurechtgemachte Frauen, hört die quietschend-hohe Intonation der thailändischen Sprache, sieht einen alten weißen Mann mit junger asiatischer Frau an sich vorbeigehen, sieht einen Backpacker mit Elefantenhose, sieht die Menschen am Wochenende in die Malls rauschen, Selfies machend und kichernd.
Es ist schwer die Summe der flair-erzeugenden Faktoren in Worte zu fassen, aber eine mögliche Subsumation dieser kleinen Eindrücke ist, dass Bangkok keinen Drive hat, keine Ambition. Alles scheint sich um die sinnlichen Qualitäten des Lebens zu drehen, und für den empfindsamen Menschen, der im Saft seines Lebens steht und vor Ambition platzt, ist dies ein schier unerträglicher Sumpf an Dynamiklosigkeit. Es ist ein bisschen, als müsse man sich permanent mit den unteren Stufen der Maslow Pyramide zufriedengeben. Ich bin noch immer nicht entschieden, ob diese Tatsache Ausdruck einer höheren, vielleicht buddhistisch inspirierten Lebensweisheit ist, oder schiere Oberflächlichkeit – in jedem Fall konnte ich mich damit nicht zufrieden geben.
Dies geht anderen Personengruppen mit einem anderen Set an Lebenszielen natürlich völlig anders – wer es auf Entspannung abgesehen hat, für den ist Bangkok oft ein Traumziel. So mag es nicht verwundern, dass sich oft jene Westler langfristig in Bangkok wohl fühlen, die einen Ausstieg aus ihrer heimatlichen Leistungsgesellschaft suchen, einen entspannten Lebensabend anstreben, oder die in Bangkok einen perfekten Ausweg aus ihren daheim begrenzten Paarungsoptionen gefunden haben, wo auch der unattraktivste und älteste Mann noch eine junge Frau finden kann.
Sex, Sex, Sex
Auf das Thema Sex möchte ich aufgrund der thailandspezifischen Kuriosität noch etwas näher eingehen, auch wenn es mich höchstens indirekt, über die daraus resultierende Stimmung und das Standing als weiße Frau, betroffen hat. Wenn Männer mittleren bis höheren Alters wieder einmal die Formulierung „living the good life“ zur Beschreibung ihrer Tätigkeit in Bangkok verwendeten, konnte ich mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dies etwas mit der Verfügbarkeit junger Frauen zu tun hatte. Bangkok ist voll von gemischten Paaren mit sehr unterschiedlichem Alter und Aussehen, bei denen man meiner Einschätzung nach oftmals von erkaufter Liebe ausgehen kann. Prostitution scheint mir in Thailand nicht nur auf Sex reduziert. Ein verbreitetes Modell scheint die erkaufte Kurzzeitbeziehung zu sein, und auch der Übergang zu normalen Beziehungen ist fließend, etwa wenn Sex und junges Aussehen gegen westlichen Wohlstand getauscht wird. Ein Konzept, das es auch bei uns gibt und ich im übrigen auch nicht verurteile, das aber in Bangkok definitiv deutlich ausgeprägter ist als an irgendeinem anderen Ort den ich gesehen habe.
Dass nicht alle thailändischen Frauen gleich sind und nicht jede eine Prostituierte, ist an dieser Stelle hoffentlich klar, und angesichts meiner völligen Abwesenheit thailändischer Freundinnen bei gleichzeitiger geringer Fallzall entsprechender Anekdoten kann man mir zu recht eine mangelnde Qualifizierung zum Thema unterstellen. Dennoch – schon am Straßenbild lässt sich einiges ablesen.
Es mag vor diesem Hintergrund nicht verwundern, dass der Markt für westliche Frauen in Bangkok eher klein ist, und man immer wieder von Frauen Mitte Dreißig hört, die Bangkok gerne wieder verlassen, oder Paaren, die Bangkok nicht überlebt haben. Sich thailändischen Männern zuzuwenden wäre an dieser Stelle für Frauen eine sinnvolle Reaktion, aber die meisten westlichen Frauen mit denen ich mich unterhalten habe konnten dem jungenhaften Aussehen vieler Thaimänner nichts abgewinnen.
Nun hat mich dies alles als Frau mit fester Beziehung nicht direkt betroffen, aber es hinterließ dennoch ein etwas unangenehmes Klima, in dem man sich manchmal wie die deplatzierte Frau auf einem Spielplatz für Männer fühlt.
Die unerträgliche Freiheit
Aber zurück zu den Faktoren, die mich mehr beeinträchtigt haben: Das unerträgliche Schweben im luftleeren Raum, ohne Kontakte, ohne Zwänge, ohne Anweisungen, ohne Feedback. Es hat mich wirklich sehr erstaunt, wie schwer mir ein effektives Funktionieren in diesem fast rahmenlosen Kontext fiel. Ich war davon ausgegangen, dass ich gut allein arbeiten kann, dass ich genug Selbstdisziplin für eigene Deadlines hätte, dass mir die Abwesenheit meiner Freunde nicht sehr zusetzen würde; aber das Gegenteil war der Fall. Die tägliche Einsamkeit vor meinem Laptop hat mich teilweise fast um den Verstand gebracht und auch zu sehr viel Zeitverschwendung durch falsche Prioritätensetzung und Verlorengehen in Details geführt. Denn am Ende des Tages fragte mich keiner, was ich heute geschafft habe, und am Ende des Monats ging mir nie das Geld aus, da mein Freund ja gut verdiente.
Ich hätte rückblickend viel dagegen tun können, kam aber nur schwer aus meiner Suppe raus. Dafür konnte Bangkok nichts, aber die oben beschriebene undynamische Aura der Stadt hat nicht gerade geholfen.
Wenig hilfreich war auch die Tatsache, dass ich kaum persönliche Kontakte hatte – ein weiterer Aspekt, deren Konsequenzen ich enorm unterschätzt hatte. Ohne Arbeitsplatz und bestehende Kontakte ergibt sich nur schwerlich ein Freundeskreis von allein, und Mitte Dreißig bin zumindest ich auch nicht mehr an jedem Kontakt interessiert. Da ich ziemlich oft und lange nach Deutschland und Indien gereist bin, und auch wusste, dass ich nicht ewig in Bangkok bleiben würde, kam umgekehrt aber auch nie der Punkt des kompletten Einlassens. Erst ziemlich spät kam ich so auf die Idee, gezielt zu MeetUps zu gehen, d.h. Diskussions- und Interessengruppen.
Auch von denen gab es aber wenig wirklich interessante Varianten. Einmal war ich bei der Gruppe „Secret Women“, einer Gruppe für Unternehmerinnen, deren Name sich mir nicht ganz erschloss. Doch anstelle sich inhaltlich über wirkliche Geschäftsideen oder Erfahrungen auszutauschen, redeten die meisten Frauen über ihre Tagträume oder über ihre Nebentätigkeit als Beauty Beraterin oder Berufsberaterin, und sehr viel Zeit wurde für die Aufnahme von Gruppenfotos verwendet. Ich gehörte zu einer der wenigen Frauen, die wirklich eine Firma gründen wollten, und da ich Inspiration von außen brauchte und nicht selbst nur Zugpferd sein wollte, ging ich nicht wieder zu dieser Gruppe.
Es gab andere Startup- oder Unternehmergruppen, die sicherlich interessanter gewesen wären, und rückblickend weiß ich gar nicht, warum ich diese nicht ausprobiert habe. Jedenfalls besuchte ich immerhin ein paar Mal die Gruppen „Bangkok Sceptics in the Pub“ und „Bangkok Scientifique“, die beide sehr interessant waren, mich aber beruflich nicht voranbrachten. Auf sozialer Ebene verhalf mir Bangkok Sceptics jedoch zu sehr inspirierenden Diskussionen, und Bangkok Scientifique zumindest zu interessanten Vorträgen, und zu meiner auf den letzten Meter gefundenen Freundin Kirsten. Eine holländische Frau, die sich auch Programmieren beibrachte und Science Fiction mochte, wow! Mit Kirsten konnte ich im letzten halben Jahr die Einsamkeit meines goldenen Käfigs aufbrechen, indem wir zusammen arbeiteten und Pläne austauschten. Ihr habe ich einige Aktivitäten zu verdanken, zu denen ich mich allein nicht aufgerafft hätte.
Jetsetting in Asia
Ein echter Benefit, zu dem mir Bangkok verholfen hat und den ich auch sehr vermissen werde: Das Leben als Kosmopolit, und damit meine ich nicht nur meinen Lebensstandard und die locker empfundene Zugehörigkeit zur Expat Community, sondern vor allem das häufige Reisen in der Region. Die Liste meiner Reisen während meiner Zeit in Bangkok:
- Chiang Mai, Thailand
- Krabi, Thailand
- Ho Chi Minh, Vietnam (Saigon)
- Siem Reap, Cambodia (mit den „Tombraider“-Tempeln)
- Kathmandu, Nepal (Geschäftsreise von Rama)
- Shenzhen, China (Fabrikbesuche)
- Chongquing, China (eine Hochzeit)
- Guangzhou, China (Fabrikbesuche)
- Hong Kong (mit diesem Mal zwei Mal)
- Singapur
- Chennai, Indien
- Auf der Indienreise mit meiner Familie außerdem u.a. Bombay, Goa und Cochin
- Zusätzlich jeweils 3, 4, und 8 Wochen in Kerala, Indien (Renovierung unseres Hauses)
Ich hätte gerne noch mehr Länder besucht, insbesondere Japan und auch Neuseeland und Australien, aber das muss wohl etwas warten, bis ich Geld verdiene. Laos und Myanmar haben mich nicht besonders gereizt, da mich das Provinzielle, Kleine nicht anspricht und ich den zweiten Tempel derselben Art meist langweilig finde (mit Ausnahme von atmosphärischen Tempelarealen, wie in Kathmandu oder Siem Reap). Kuala Lumpur, Jakarta und Manila wären an sich interessant gewesen, allerdings habe ich mir sagen lassen dass sie Bangkok ziemlich ähneln bzw. teilweise ärmere Versionen von Bangkok sind, daher war mein Interesse nicht sonderlich hoch.
Ich bin eindeutig ein Fan von modernen, kosmopolitischen Städten, und insbesondere verdichteten Hochhäusern oder anderen modernen Architekturelementen, und daher mag es nicht verwundern, dass Hong Kong und Singapur die klaren Favoriten meiner Reisen sind.
Dass ich mich in beide Städte verliebt habe, hat sicherlich auch mit meiner Lebensphase zu tun, da beide genau die Dynamik und den wirtschaftlichen Erfolg widerspiegeln, die mir in Bangkok so gefehlt haben. Menschen gehen in diesen Städten zielstrebig, Ausländer hängen nicht rum, sondern haben gut bezahlte Jobs, Frauen sind normal gekleidet, die Leute sprechen Englisch, und die Einwohner sind schon deswegen zu Produktivität gezwungen, weil die Lebenshaltungskosten extrem hoch sind. Man kann in Städten wie Hong Kong und Singapur nicht aussteigen, sondern nur einsteigen. Es ist unglaublich, wie dieser grundsätzliche Unterschied fast körperlich spürbar ist, sobald man ankommt, und für mich ist es ebenso verwunderlich, wie stark meine Stimmung hiervon beeinflusst wird.
Ob mir Deutschland mit seinem stetigen Blick in die Vergangenheit denselben Drive geben wird, ist fraglich, aber ich denke mir dass es schlimmer als in Bangkok nicht werden kann und freue mich schon darauf, mich in die Startup Szene zu stürzen. Wir werden sehen, ob und in welcher Form ich Bangkok vielleicht doch vermissen werde. Vielleicht gebe ich Bangkok in Zukunft noch einmal eine Chance. In jedem Fall war dieses Mal die Zeit zur Abreise gekommen. Bye Bye Bangkok.
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