Weltbürgerromantik
Nach 2,5 Jahren als Migrant unter Asiaten habe ich nun, zurück im Schoße meiner Heimat, einen paternalistischen Bezug zu Asiaten entwickelt, mit denen ich mich in einem besonderen Verhältnis wäge, da ich nun selbstverständlich ein Experte auf dem Gebiet aller Asiaten im Allgemeinen bin. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich 80% aller Asiaten weder nach Aussehen noch nach Sprache ihrem Land zuordnen könnte, und auch nicht, dass ich mit Ausnahme von Indern fast nie Kontakt zu echten Asiaten hatte. Egal, da ist diese Connection, die mich auch dazu berechtigt, wildfremde Asiaten in der U-Bahn oder auf der Straße besonders intensiv und bemüht freundlich anzuschauen.
Dieses Verhalten, welches ich als Phantomnationalismus oder Weltbürgerromantik bezeichne, habe ich in einer früheren Phase meines Lebens schon einmal bei Griechen an den Tag gelegt, denen ich mich nur deswegen nahe fühlte, weil mein Blut zur Hälfte Griechisch ist, und ließ mich damals das ein oder andere Mal sogar dazu hinreißen, unter den merkwürdigsten Vorwänden ein Gespräch zu beginnen, nur um dann einsehen zu müssen, dass mein Griechisch hierfür viel zu schlecht ist. Diese Phase ist nun vorbei, den Platz der Griechen haben derzeit Asiaten übernommen.
Als ich neulich in Köln in der Straßenbahn fuhr, saß ein paar Abteile weiter eine thailändische Frau, die ich sehr stolz daran erkannte, dass sie ausgerechnet eines der drei thailändischen Worte am Handy verwendete, die ich in meinem mehrjährigen Aufenthalt in Bangkok erlernt hatte. Ich verbrachte daraufhin den Rest meiner Bahnfahrt damit, sie wissend und milde lächeln anzusehen und mich in einen anrührenden Zustand eines gefühlten Weltkollektivs zu versetzen.
Besonders stark ausgeprägt ist dieser Zug bei Indern. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich in diesem Falle zumindest eine gewisse Berechtigung zu einem Verbundenheitsgefühl habe, wenn man einmal die Nationalität meines Freundes sowie meine zahlreichen indischen Aufenthalte und Bekanntschaften berücksichtigt. Auch vor diesem Hintergrund ist mein sofortiges Berechtigungsgefühl einer besonderen Beziehung gegenüber wildfremden indischen Mitbürgern jedoch etwas übertrieben. Betritt eine indische Frau die U-Bahn, so beschließe ich umgehend im Stillen einen Deal mit dem gedachten Straßenbahn-Kollektiv, die besondere Fürsprecherin dieser Frau zu sein. Bei älteren indischen Menschen überzeuge ich mich recht schnell davon, dass sie, vielleicht aufgrund ihrer spirituellen Fähigkeiten, meine besondere Verbindung zu Indien spüren.
Ich scheine in meiner Welt eine Art exklusiver Botschafter für alles Asiatische geworden zu sein, vielleicht sogar alles Internationale. Neulich zum Beispiel, auf dem Weg von Köln nach Berlin, saß mir ein deutscher Mann gegenüber, der sich unentwegt auf Englisch mit jemandem am Handy unterhielt. Und einer meiner vorbeistreifenden Gedanken war tatsächlich “Wichtigtuer” – denn ich habe ja bekanntlich das Recht auf englische Unterhaltungen gepachtet und Deutschland ist ja ein zurückgebliebener Ort wo es sowas gar nicht geben würde, wenn ich den Laden nicht ab und zu aufmischen würde.
Apropos. Gestern Ortstermin in Köpenick, wo Berlin noch ganz deutsch sein kann. Schon bei der Anfahrt durch Grün und ebenerdige S-Bahn-Steige fühlte ich mich ganz fremd. Nirgendwo ein Wort englisch oder ein fremdsprachiges Buch in der S-Bahn, wie es inzwischen normal in den zentralen Bezirken von Berlin ist. Meine Ankunft muss den Ausländeranteil des Bezirks dramatisch erhöht haben, zum Vorteil der vereinzelten Thor Steinar tragenden Unterschichtmenschen mit Überlegenheitskomplex, deren Existenzgrundlage ich natürlich nicht bedrohen möchte. Ich möchte den Köpenickern nun aber kein Unrecht tun, die immerhin zu 95% nicht die NPD wählen.
Man würde denken, dass ich im Ausland zu Deutschen eine umso stärkere Verbindung habe, wenn doch schon ein mehr als oberflächlicher Bezug bei anderen Nationalitäten ausreicht – das ist aber nicht so, im Gegenteil versuche ich mich im Ausland meist von Deutschen fernzuhalten, denn ich bin ja Weltbürger.
Meiner virtuellen Vorstellung vom Ausländer fühle ich mich jedenfalls näher als der des provinziellen Deutschen. Das mag sich schnell ändern, sobald aus Vorstellung Realität wird – denn da wünsche ich mir angesichts indischer Arbeitsmoral, thailändischer Wahrheitsauslegung, marokkanischem Frauenbild oder griechischem Laissez-Faire dann doch oft klammheimlich einen Deutschen, oder wenigstens einen Mitteleuropäer zur Seite. Aber egal, man muss ja über den Tellerrand der Realität hinaussehen können. Und so pflege ich weiterhin meine virtuellen Beziehungen zu U-Bahn-Fahrern, Passanten, und Gemüsehändlern, während ich über Deutsche innerlich die Augen verdrehe, denn es fühlt sich einfach so gut an. “Klassischer antiwestlicher Rassismus”, würde mein bester Freund dazu sagen, der Spielverderber.
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