Sind Kulturinstitutionen Subventionen wert?


Eine kürzliche Diskussion mit einem Bekannten über den Wert von staatlich geförderten Kulturinstitutionen endete mit seinem Resumé, dass Kunst und Kultur eine Sache des Herzens seien, deren Wert für den Einzelnen und die Gesellschaft nicht messbar, aber auch nicht zu hinterfragen sei. Denn Kulturinstitutionen hielten und formten die Werte einer Gesellschaft, und was passiere, wenn man diese verliere, sähe man ja an den USA und Bewegungen wie Pegida. Wäre Steve Jobs mal lieber mehr ins Museum gegangen, und hätten sich die Pegida-Demonstranten einmal eine moderne Adaption von “Kabale und Liebe” angesehen, dann wäre die Welt sicher ein besserer Ort.

Die wilde Verknüpfung zwischen den USA und Pegida ignorierend machte ich darauf aufmerksam, dass Theater, Opern, das Ballett und Museen doch nur von Leuten wie uns frequentiert würden und nicht etwa dem “einfachen Volk”, das das hauptsächlicher Bestandteil der “Gesellschaft” sei. Das, so erwiderte er, liege aber nur am mangelnden Budget des einfachen Volkes. Die Tickets seien doch schon zum großen Teil subventioniert, so ich; offenbar nicht genug, so konterte er. Sicherlich würde ganz Neukölln begeistert in die Oper stürmen, wären die Tickets nur billiger, dachte ich mir. Meinen Gedanken erratend fügte er hinzu: Neulich seien in einer Inszenierung ganz viele Türken gekommen, weil es dort um deutsch-türkische Themen wie konfligierende kulturelle Traditionen gegangen wäre, und das zeige, wie Theater im Stande wäre, sich einen Weg ins Herzen der Menschen zu bahnen und wichtige Themen zu adressieren – wenn sogar Türken kämen (das hat er so natürlich nicht gesagt). Warum denn ein Film nicht ebenso in der Lage wäre, genau diese Themen zu vermitteln? Es gebe ja de facto einige dieser Filme, die sich aus denselben Gründen großer Beliebtheit erfreuten. Nein, Theater sei einfach was anderes. Inwiefern? Weil da ja echte Menschen stünden. Ändert sich denn der Inhalt des Stücks durch diese Tatsache? Nein, aber darum ginge es eben nicht nur. Das Theater vermittle einfach unmittelbarer die Schauspielkunst, man nehme die Schauspieler viel besser war. Sehe man nicht am Fernseher eigentlich mehr Details als im Theater? Nein, nicht wenn man in der dritten Reihe sitzt. Womit wir wieder beim Thema Elitismus seien – nicht jeder könne sich die dritte Reihe leisten. Ja, und warum nicht? Aufgrund der ständigen Steuereinsparungen bei Kulturausgaben! Wir drehten uns im Kreis.

Schließlich versuchte er sich um eine Abkürzung der Diskussion über eine biologistische Erklärung – “der Mensch” bevorzuge nun einmal den direkten Kontakt mit Menschen vor der medialen Vermittlung. Wer das nicht so sehe, habe kein Herz (ich zum Beispiel). Der Konsum von Kulturgut jedweder Form sei nun einmal wertiger, wenn es live stattfinden würde. Das sehen viele Menschen so, gab ich zu – aber doch wohl weniger wegen des Inhalts, sondern des exklusiven Rahmens (eine ähnliche Motivation wie bei der Bevorzugung von Handarbeit); und wegen des sozialen Ambientes. Gehe es wirklich nur um den Inhalt, dann spräche nichts gegen eine mediale Skalierung von Konzerten, Opern, Tanzaufführungen, Theateraufführungen durch Übertragungen. Dann wären keine Subventionen nötig und auch das “einfache Volk” könnte, zumindest in der Theorie, in den Genuss von “Hochkultur” kommen. Dann würden wir viel mehr Übertragungen im Fernsehen sehen. Der Fakt, dass dies nicht der Fall ist, spricht dafür, dass ein anderer Reiz jenseits des Inhalts der eigentliche Motivator für den Besuch von kulturellen Veranstaltungen ist. Dies gilt im Übrigen nicht nur für eine Videoübertragung von Theater, Oper und Ballett, sondern auch für eine Reproduktion von bildender Kunst – gehe es nur um den Inhalt, dann gäbe es einen höheren Anteil von Menschen, die Kunstbildbände studieren als dies jetzt der Fall ist.

Was ist dieses “Andere” der unmittelbar erlebten Kulturaufführungen und -artefakte, was so viel stärker als der eigentliche Inhalt wirkt? Der soziale Kontext, das Gefühl einer Zugehörigkeit zur intellektuellen Elite? Das gemeinsame Feiern von Zivilisation? Das Wissen, das nur ein kleiner Teil der Gesellschaft “in der Lage ist”, die Inhalte zu “verstehen”? Das Format, welches einem aufgrund des sozialen Kontextes und vielleicht auch durch den gezahlten Preis einen höheren Fokus auf das Dargebotene abverlangt, als dies z.B. im Kino der Fall wäre? Was ist im Medienzeitalter der Wert von Kunstausstellungen, Theateraufführungen und Musikveranstaltungen? Man könnte die Frage noch erweitern: Was ist im Informationszeitalter der Wert von Bibliotheken und Bücherwänden als Statussymbol? Warum gilt die freiwillig bezahlte Kultur in Form von Kinofilmen, Fernsehserien, Computerspielen oder Popkonzerten eigentlich grundsätzlich als minderwertig im Vergleich zur Hochkultur? Ist die Story einer Operette wirklich anspruchsvoller als die von Game of Thrones? Oder Bachs vorhersehbare Arrangements intellektueller als elektronische Musik?

Vielleicht findet Kultur einfach heute woanders statt und keiner kriegt es mit. Ich sollte hinzufügen – ich bin nicht wirklich dieser Meinung; denn auch ich fühle mich irgendwie besser dabei, mir Bilder (bei einem Prosecco) an der Wand einer Galerie anzugucken als in einem Bildband; oder Tänzer in 3D vor mir zu sehen; oder Musikern beim musizieren live zuzuschauen. Ich denke aber, auch dass der Unterschied zwischen “Live-Kultur” und einer medialen Vermittlung bzw. Reproduktion als viel weniger wertmindernd angesehen werden würde, wenn es primär um den Inhalt ginge. Mehr Selbstehrlichkeit und Offenheit in Bezug auf den Kulturbegriff wären meines Erachtens angebracht – gerade wenn zu entscheiden ist, was mit wie vielen Millionen anderer Menschen subventioniert wird. Wenn der Unterschied zwischen einer Bühne und einer Leinwand vor allem in der sozialen Psychologie des Kontexts liegt – haben wir dann wirklich das Recht, hierfür Bundesbürger zur Kasse zu bitten? Was rechtfertigt, eine Mehrheit des Volkes für das ästhetische Erlebnis einer kleinen Gruppe zu belasten – ohne echten Bildungszuwachs oder messbaren gesellschaftlichen Wert? Sind Steuergelder an dieser Stelle wirklich nachhaltig angelegt? Ich habe meine Zweifel. Kultur mag eine Angelegenheit des Herzens sein, das macht sie aber noch nicht zwingend zur Staatsangelegenheit.

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