Koufonissi, meine Liebe


Man kann Koufonissi nach diesem inzwischen dritten Besuch wohl als meine kykladische Stamminsel bezeichnen. Warum ich diese Insel so liebe, ist angesichts meiner sonstigen Präferenz für das Spektakuläre nicht ganz leicht zu vermitteln. Koufonissi ist klein, flach, und hat ein paar schöne, aneinander gereihte Strände mit türkisfarbenem Wasser. Sonst eigentlich nichts. Aber die Insel macht mich glücklich, und so komme ich immer wieder.

Das liegt sicher auch an den Unterkünften, die ich gewählt habe. Von meinem Raum mit Terrasse waren es vielleicht 30 Meter zum Meer. Und wenn ich noch näher sein wollte, konnte ich zur Strandbar mit Cafe del Mar Musik gehen und dort bei Kaltgetränken mein Kindle studieren (meine Lektüre: Immobilienverwaltung gemischt mit dem Rest von A Brief History of Mankind). Ich habe stundenlang damit verbracht, einfach nur auf der Terrasse oder im Cafe zu sitzen, und halb zu lesen und halb zu gucken und zu denken.

Nach dem Fahrrad auf Milos und dem Gehen auf Folegandros und Amorgos war auf Koufonissi das Joggen mein Haupt-Bewegungsmodus (wenn ich mich denn bewegte) – von Fanos Beach bis zum Ende der Strände und zurück, kurz vor dem Sonnenuntergang. Durch den Sand und das Auf und Ab der hügeligen, felsigen Übergänge zwischen den Stränden hatten meine zwei Sessions nicht nur schöne Ausblicke, sondern auch etwas adventure-mäßiges zu bieten, weil mein Joggen oftmals vom Laufen ins Springen übergehen musste.

Ich hatte von meinem ersten Besuch auf Koufonissi noch einen verborgenen Strand mit angeschlossener Höhle in Erinnerung und eine kleine, schwer erreichbare Bucht mit türkisfarbenem Wasser, in die es mich damals mit meinem spanischen Ferienliebhaber verschlagen hatte. Bei meinem letzten Besuch hatte ich die Höhle nicht wiedergefunden und dieses Mal scheiterte ich auch fast, sodass ich mich fragte, ob ich mir diese Abenteuer vielleicht eingebildet hatte. Nach einigem Erkunden der Felsformationen am Ende meines Joggingpfades tat sich jedoch ein Weg auf, der scheinbar ins Nichts führte, und nach ein bisschen Geklettere tatsächlich zu meinem verborgenen kleinen Strand führte (der aber leider so geheim nicht war, ich war nicht alleine dort). Die Höhle konnte man damals erreichen, indem man unter einem Torbogen im Felsen hinein schwamm. Dieser war damals schon tiefliegend, ich erinnere mich daran dass wir beim Durchschwimmen vorsichtig sein mussten. Heute ist die Distanz zwischen Wasser und Höhlendecke jedoch so gering, dass die kleinste Welle beim Durchschwimmen zu einer Kopfverletzung führen würde. Oder waren wir damals in unserem jugendlichen Leichtsinn getaucht? Jedenfalls traute ich mich jetzt nicht. Der Meerespool hinter dem Bogen würde seine Erinnerungen für sich behalten müssen. Ich blieb also noch etwas am Strand sitzen, und starrte teils auf den Torbogen, meine Erinnerungen abrufend, und beobachtete teils ein Paar, welches Yogaposen auf einem Fels übte, die etwas weniger elegant aussahen, als sie vermutlich geplant waren.

Dieser Ausflug blieb mein einziger Fall von Erkundungsfreudigkeit auf der Insel – denn charakteristisch für meine Aufenthalte auf Koufonissi ist eigentlich das Nichtstun und Sinnieren, wofür die Insel optimal geeignet ist. Und so kehrte ich auch recht bald wieder zu der Meditations-Base auf meiner Terasse zurück.

Koufonissi hat eine angenehme Natürlichkeit dadurch, dass alle Strände unorganisiert sind, und die (meistens paarweise gruppierten) Touristen nicht durch italienische Lautheit, französisches Attitude oder endlose Instagram-Fotosessions auffallen. Die griechische Bevölkerung ist entspannt und hat weder die übermäßige Serviceorientierung noch die unterschwellige Verachtung, die man anderswo manchmal antrifft. Natürlich mag ich mir das alles zumindest teilweise einbilden, so erkläre ich mir jedenfalls den menschlichen Anteil des positiven Vibes.

Die  besondere Freundlichkeit der Mitarbeiter des Strandcafes habe ich sicherlich auch meinem roten Bikini bei gleichzeitiger Abwesenheit vergleichbarer Frauen zu verdanken, der – zumindest behaupte ich das – zu vielen Gesprächen, besonders eifrigem Service und mehreren kostenlosen Cocktails führte. Ein mir völlig unbekannter Mann erkannte mich später sogar als die Frau mit dem roten Bikini wieder. Ich freue mich ja immer, dass ich in meinem Alter noch was reißen kann.

Meine besonderste Begegnung war sicherlich mit dem Kellner C. Zunächst fiel mir seine im Vergleich zu anderen Kellnern überdurchschnittliche Schnelligkeit – sowohl im Gedanken als auch im Reden – auf und sein gutes Englisch. Er sah mit seinen augenvergrößernden Brillengläsern, den Tattoos von weiblichen Marvel-Charakteren auf seinen Waden und seinen weiten T-Shirts ein bisschen wie ein Nerd aus und war es wohl auch. Innerhalb meiner drei Tage beobachtete mich C. so genau, dass er mir bei unserem letzten Gespräch Details mitteilen konnte wie mein Blick beim Beobachten anderer, oder die Ausprägung bestimmter Muskelpartien meines Körpers. Er fuhr mich an einem Abend mit dem Auto in das Dorf, und hätte es am nächsten Tag auch gemacht wenn ich ihn gelassen hätte. C. war humorvoll, interessiert und aufmerksam. Seine Geschichte: Mit 10 und 13 an Krebs erkrankt, dann übergewichtig, dann dutzende Kilos abgenommen, den Schulabschluss verpasst, auf Abwege mit Gewalt und Hells Angels geraten. Hoch verschuldet. Jetzt sind beide Eltern schwer erkrankt und er muss sich finanziell um sie kümmern. Dafür hat er in Athen zwei Jobs und schläft nur 5 Stunden pro Tag. Sein Kellnerjob in Koufonissi mit nur 12 Stunden Arbeit pro Tag ist Entspannung. Das war alles bemerkenswert, aber noch im Rahmen des Gewöhnlichen. Als er mir dann erzählte, dass er eine Romanze mit einer berühmtem russischen Sängerin habe, war ich doch eher überrascht. Sie heiße Katja, sei in einer berühmtem Girl Band, und schlafe sonst nur mit Frauen, er sei die Ausnahme. Bildhübsch (er zeigte mir Fotos), reich, und sie wolle dass er nach Russland kommt, er zögere aber, weil er sich unsicher in ihrer Anwesenheit fühle und nicht der Loser sein wolle. Sie habe ihm sogar Geld zum Begleichen seiner Schulden geschickt, das er aber aus Stolz nicht annehmen will. Er habe auch schon mit ihren Eltern gesprochen und sie mögen ihn. Jährlich komme sie nach Koufonissi und übernachte dann bei ihm. Sie möge ihn wohl, weil er ihr seine volle Aufmerksamkeit schenke und sie gut mit ihm reden könne. Sein einziges Bedenken sei – neben ihrer Berühmtheit – dass sie noch etwas jung und naiv sei, und deswegen wolle er sie (anders als sie) auch nicht heiraten, bevor sie 30 sei.

Meine Gedanken sind hier wohl klar – das war alles eher unglaubwürdig. Sicher – C. war ein guter Gesprächspartner und sehr aufmerksam, ich kann mir vorstellen dass er so auch bei Frauen Erfolg hat, die attraktiver sind als er. Aber eine nicht nur berühmte und reiche, sondern auch noch modelmäßig hübsche Frau? Die sonst nur mit Frauen schläft? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Auf den Fotos die er mir zeigte war er auch nie zu sehen und es waren alles Fotos, die theoretisch auch öffentlich zugänglich sein könnten.

Lebte C. in einer Traumwelt, in der er der Auserwählte von Superfrauen ist (für die er anscheinend ein Faible hatte, wie man an den Marvel-Heldinnen auf seinen Waden sehen konnte)? Oder war die Geschichte Teil einer sehr ausgeklügelten Verführung von mir, die aus einer geschickten Mischung aus Aufmerksamkeiten, interessanten Gesprächen und einer Aufwertung durch vorgetäuschte Popularität bei Frauen bestand, die attraktiver sind als ich? Leider ergab sich keine Situation, in der die Geschichte bei seinen Kollegen validieren konnte. Später auf Facebook konnte ich auf seinem Profil jedenfalls ebenfalls keine Fotos mit Katja finden und auch keine Katja unter seinen Freunden. Für eine Lüge war der Detailgrad seiner Erzählungen über seine Beziehung mit Katja aber bemerkenswert. Zur Verabschiedung reichte er mir die Hand und ich umarmte ihn, was er mit den Worten “hard body” kommentierte. Zu meinem Geburtstag ein paar Tage später schickte er mir ein Foto von Samantha von Sex and the City, zufrieden lächelnd vor vielen Sektgläsern.

 

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