Bilderbuch Milos
Milos ist nach Santorini die fotogenste kykladische Insel die ich kenne – anders als ihr bekannterer Nachbar hat sie aber mehr Diversität zu bieten und sorgt durch immer neue Szenerien für viel ästhetische Abwechslung.
So hat es mich nach meinem ersten Besuch in 2018 auch noch einmal hierhin verschlagen. Manches habe ich einfach wiederholt: Ich habe wieder ein E-Bike gemietet, und habe ein paar der Orte noch einmal besucht, die ich in positiver Erinnerung hatte – Mandrakia, Sarakiniko, Achidavolimni, Pollonia, Plaka, und meine Stamm-Strandtaverne O Hamas! mit der leckeren Ziege aus dem Ofen, der behaglichen Atmosphäre und der angeschlossenen Strandbar mit bezahlbaren Preisen.
Ich habe wieder in Adamas gewohnt, wieder gerne hausgebackene Müsliriegel, frisch geschnittene Wassermelonen, die kykladische Variante von griechischem Salat mit kretischem Zwieback und meine Leibspeise Bougatsa in derselben “Artemis” Bäckerei um die Ecke gekauft. Nur dieses Mal alles mit Maske und Hygiene-Handgel, lief aber alles wenig störend und routiniert ab wie auch in Berlin.
Dem E-Bike-Vermieter ist in den zwei Jahren irgendwas zugestoßen, oder vielleicht hatte er gerade eine Krise. Jedenfalls fühlte ich mich in jeder Interaktion mit ihm irgendwie gezwungen, ihn aufzumuntern oder mich sonst wie anzubiedern, um ihn zu einem netten Umgang zu zwingen. Gleich zu Beginn beim Ausleihen des Rads fand ich mich in der Mitte eines Konflikts zwischen dem sichtbar gereizten Besitzer und einem Kunden um eine zerkratzten Helmblende wieder, die beide einen gewissen Hang zu Melodramatik hatten. Als der Besitzer anfing, seine Wut mittels Belehrungen über meine Begriffsstutzigkeit hinsichtlich der Abgabeuhrzeit an mir auszulassen, während der Kunde weiterhin genussvoll sein „no no no no no“ mit schwenkendem Zeigefinger, schüttelndem Kopf und schnalzender Zunge wiederholte, bot ich den beiden Herren in einem zugegebener Maßen rein taktischen Manöver an, die debattierte Rechnung von 12 Euro für sie zu zahlen um das Theater zu beenden. Natürlich ging weder der Grieche noch der Afrikaner darauf ein. Der Ton des Besitzers wurde daraufhin zumindest passive aggressive und er überreichte dem Kunden die angeblich von ihm zerkratzte Helmblende mit rollenden Augen als “Andenken an den Urlaub”. Ich floh mich mit dem Rad davon.
Meine Gastgeber bestachen dagegen durch die typisch griechische Herzlichkeit, die für viele Touristen (vor allem die eher steiferen Nordlichter) so anziehend ist. Die Frau des Hauses, ein korpulenter “Mama” Typ, versorgte mich mehrfach mit selbst zubereiteten Spezialitäten und Ouzo in großzügigen Portionen. Bei der Abreise sagte sie mir, das nächste Mal solle ich mit Gesellschaft kommen, das sei doch besser. Aufgrund der Strasse vor dem Balkon, die ich beim Buchen irgendwie ignoriert hatte, werde ich aber wohl nicht wieder kommen. Auch wenn ihr Wassermelonenkuchen – eine weitere Spezialität der Region – wirklich köstlich war. Ja, ich bin eine Prinzessin – aber für mich gehört Meerblick nur mit Meeresrauschen zusammen.
Ich probierte neben den bekannten Highlights ein paar neue Strände aus, darunter einen mit rot-weissen Felsen und Nacktbadeteil (Firiplaka), einen nur mit einer Leiter zu erreichenden (Tsigrado) und einen mit angeschlossener Bar mit grandiosem Blick (Tourlos). Und das atmosphärische Örtchen Firopotamos mit antikem star gate.
Und zum Abschluss auch noch schnell ein antikes Amphitheater von derselben Ausgrabungsstätte, an der auch die Venus von Milo gefunden wurde. Damals stritten sich die Franzosen mit den besetzenden Ottomanen um den Fund und die Franzosen gewannen, sodass die bekannte Statue heute im Louvre zu finden ist. Der erste Denkimpuls ist in solchen Fällen ja häufig, diesen Kunstraub moralisch zu verurteilen – vermutlich ist die Venus aber im Louvre besser aufgehoben gewesen als bei Wind und Wetter inmitten von grasenden Ziegen (eine Museumskultur oder Tourismusindustrie gab es damals in Griechenland noch nicht so wirklich vermute ich). Zumindest hat Milos durch den Titel einen kleinen credit bekommen.
Jedenfalls habe ich das Theater zur Kenntnis genommen und damit das schlechte Gewissen abgehakt, welches meine Mutter telefonisch bei mir ausgelöst hatte. Sie: “Milos ist ja auch archäologisch sehr bekannt, was hast Du Dir denn da angesehen bisher?” Ich (nicht nur Kunstgeschichte studiert sondern auch während meines Erasmus-Semesters in Thessaloniki an der Uni für Archäologie eingeschrieben): “Ähm…ach weißt Du, das ist doch immer alles gleich. Irgendein König dessen Name ich sofort wieder vergessen werde hat irgendwas gebaut um Eindruck zu schinden – denn wäre es nicht imposant gewesen würde es nicht mehr stehen. Ein paar Steine die auch rekonstruiert im Grunde immer gleich aussehen da sie der Mode der jeweiligen Epoche und Region entsprechen.” Sie: “Ach Anna…” (resigniertes Ausatmen).
Ich hatte noch mehr Gedanken zu dem Thema. Zum Beispiel, dass dieselben Menschen, denen die stilistische Beschäftigung mit aktuellen Baustilen eher egal ist, auf einmal die Frage interessant finden, ob im damaligen Baustil drei oder vier Türen im Theater gängig waren und welche Blumenreliefe in Mode waren. Weil es “Geschichte“ ist. Ich finde Altes aber nur dann interessant, wenn ich es noch nicht kenne. Ich muss mir nicht dutzende nahezu identische Reste von Amphitheatern anschauen. Hinzu kommt: Nach Sabratha in Libyen ist alles entwertet. Das ist (oder war? wer weiß was der Krieg angerichtet hat) eine riesige, sehr gut erhaltene Ausgrabungsstätte, die ich vor Jahren mit meinem Ex Rama zu Zeiten seiner Stationierung bei der UN in Libyen besucht hatte.
Nun ja, ich bin jedenfalls trotzdem zum Amphitheater gegangen, nicht nur wegen der Worte meiner Mutter sondern auch schlicht aus Langeweile und aus Lust meiner Augen an neuem Input neben Meer und Bergen. Am letzten Tag hatte ich mein Bike schon abgegeben und war gesättigt vom Schwimmen und körperlicher Bewegung im Allgemeinen, sodass eine Busfahrt mit kurzem Spaziergang zum Theater passend schien. Nach all der abschätzigen Besserwisserei muss ich aber dennoch sagen – es hat sich gelohnt und war ein ästhetischer Genuss durch die Art, wie das Theater in die Hügellandschaft eingebettet war und eine Blickachse zum Meer bot. Das setting war das Neue.
Was an Milos ebenfalls unverändert ist: Milos ist eine Insel für Paare und wirbt auch aktiv damit (“Milos is for lovers”) – vermutlich aufgrund der vielen Strände bei gleichzeitiger Ruhe. Man trifft Touristen in der Regel paarweise an mit dem quad car als bevorzugtes Transportmittel bei jungen Paaren und dem Auto bei älteren Paaren. Das machte mich zu einer eher raren Spezies und verhalf mir neben der üblichen Aufmerksamkeit als “einziger verrückter Mensch auf einem Fahrrad, und dann noch eine Frau” zumindest einmal zu Freigetränken bei einem beach bar Angestellten aus Kairo, der sich vorstellte, nach einem gemeinsam verbrachten Abend sich in Hamburg wiederzutreffen, wo bereits Verwandte von ihm wohnten. Leider verebbte unser Gespräch häufig an seinen rudimentären Englischkenntnissen und meinem bruchstückhaften Griechisch; da ich mich aber gezwungen sah, ihn für das sonst überteuert angebotene und jetzt für mich kostenlose Wasser und den Freddo Capuccino zumindest sozial zu entlohnen, bemühte ich mich um ein paar höfliche Bemerkungen und eifriges Trinken, um die unangenehme Situation zu überbrücken, in der ich nur im anzüglichen roten Bikini bekleidet auf dem Handtuch saß und er mit unverholenen Blicken neben mir angezogen hockte und ihm die langen Stillen gar nichts auszumachen schienen. Als er das Thema dann unvermeidlich zu den “next steps” lenkte (“tonight you come back?”) suchte ich mir dann den erlogenen aber zumindest keine langen worte erfordernden Ausweg mit “no not possible, boyfriend”, während ich hastig den Kaffee austrank. Ebenso effizient sagte er daraufhin “ok bye”, drehte sich um und ging.
Es bleiben mir immer noch ein paar Orte auf Milos, die ich noch nicht gesehen habe – auch wegen schwer befahrbaren Wegen, für die ein Jeep wohl besser geeignet wäre als ein Fahrrad. Nächstes Mal dann also mit Führerschein – oder mit Begleitung.
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